Idee des Monats aus der Frühförderung
Der Verdacht der Gewalt ist eine heikle Angelegenheit: einerseits gilt es nicht vorschnell einen Verdacht auszusprechen, das Kind unter keinen Umständen damit zu gefährden, andererseits in jedem Fall die Augen nicht zu verschließen und tätig zu werden.
Was ist überhaupt Gewalt?
Gewalt kann viele Gesichter haben, kann körperlich, seelisch, sexuell sein, im Namen der Ehre oder des Glaubens. Vernachlässigung ist ebenso Gewalt, wie unterlassene Hilfeleistung;
Mögliche Reaktionen auf Gewalt auf der Verhaltensebene:
Rückzug
Teilnahmslosigkeit
Aggression
Überangepasstheit
Schlafstörungen
Ängste
Zwänge
Suchtentwicklung
Vernachlässigung des Äußeren
Selbstverletzendes Verhalten
Schulprobleme
Klagen über Schmerzen
ggf. psychosomatisch bedingte Krankheiten
Sichtbare Folgen körperlicher Gewalt:
Rötungen
Schwellungen
Blutergüsse
Blutungen
Quetschwunden
Abschürfungen
Striemen
Verbrennungen
ausgerissene Haare
Bisswunden
In 20% der Fälle, so das T-Online Magazin (2014: "schlägst du dein Kind?"), bestätigt sich der Verdacht. Was also tun?
Die Augen nicht verschließen!
Gehen Sie ins Gespräch.
Suchen Sie unabhängig voneinander das Gespräch mit dem Kind, den Bezugspersonen, anderen Beteiligten, wie Erzieher*innen/ Lehrer*innen und ggf. auch der verdächtigten Person.
Grundlegend ist das Jugendamt für Verdachtsfälle zuständig. Gibt es konkrete Fakten, die den Verdacht stützen? Melden Sie diese dem Jugendamt so konkret wie möglich.
Im Gespräch mit dem Kind:
Hilfsbereitschaft signalisieren
nachfragen
Verständnis zeigen
zum Sprechen ermutigen (ohne Druck)
Ernst nehmen, Glauben schenken
Verantwortung zuordnen - Täter*in trägt Schuld, nicht das Kind
Hilfsmöglichkeiten aufzeigen
Grenzen der Vertraulichkeit thematisieren
Deutlich machen, dass Unterstützung auch zum späteren Zeitpunkt besteht
Führen Sie das Gespräch mit dem Kind möglichst alleine, ohne Begleitperson oder familiäre Dolmetscher*in. Üben Sie keinen Druck aus, lassen Sie dem Kind Zeit. "Du brauchst nicht gleich zu antworten, du kannst mir das auch später sagen."
Fordern Sie zudem keine Beweise ein. Nehmen Sie Widersprüche hin und ergreifen Sie zu keiner Zeit Partei für die Täter*innen - ebenso wenig sollten Sie diese verurteilen vor dem Kind.
Kinder sind, gerade bei Familienmitgliedern einem starken Konflikt ausgesetzt. Teilweise kann Gewalt als Normalität begriffen werden, es besteht Angst vor den Täter*innen und gleichermaßen Liebe zur Familie. Kinder möchten in der Regel ihre Familie schützen und sagen deshalb manchmal nicht die Wahrheit.
Erwarten Sie keine schnellen Lösungen und rechnen Sie nicht damit, dass das Kind sich schnell öffnet. Es kann sein, dass es die Gewalt bagatellisiert. Und vor allem: fördern Sie keine Konsequenz vom Kind ein. Das überfordert und die Gefahr, dass Sie die Offenheit des Kindes verlieren, ist groß.
Im Gespräch mit Bezugspersonen/ einem Elternteil:
Verdeutlichen der Ernsthaftigkeit der Gewalt
nicht zu viel sprechen, Raum geben
fragen, ob Rat gewünscht ist
nicht mehr Hilfe anbieten, als man leisten kann
nicht zwischen Opfer und Täter vermitteln
Hilfsangebote und Möglichkeiten informieren, etwas greifbares (Flyer, Zettel mit Telefonnummern) da lassen
Im Gespräch mit den Verdächtigten:
Gespräch ohne das Kind führen!
Verständnis aussprechen "ich weiß wie schwierig Kinder sein können"
Hilfe anbieten
Ist das Verhältnis zu den verdächtigten Personen angespannt und schwierig? Ersparen Sie sich das Gespräch und melden Sie die Situation an das Jugendamt weiter.
Haben Sie ein neutrales oder gar positives Verhältnis? Meist reagieren Personen mit Gewalt auf ihre Kinder aus Überforderung. Auch hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Vorwürfe werden Sie nicht weiter bringen. Bieten Sie Verständnis und Hilfe an.
Wenn Sie selbst vom Fach sind und in einer unterstützenden Rolle, können Sie nach der Prägung und Erfahrungen mit den eigenen Eltern fragen. Geben Sie Raum um Hintergründe der Person zu erfahren und diese zu verstehen. In einem aufbauenden Gespräch können Sie daran anknüpfen und Alternativen besprechen.
Zeigen Sie Umgangsweisen und einen Notfallplan bei Wut und Impulsivität auf.
Notfallplan:
Geschehen verlassen
Atmen
Wut ausagieren (bewegen, Boxen,...)
Ablenken (Kreuzworträtsel, Liste schreiben,...)
In Ruhe kann die Situation wieder aufgenommen und geklärt werden.
Zu Beginn kann die Mithilfe und Begleitung der Partner*in und/oder der Therapeut*in hilfreich sein.
Sind Sie nicht in der Rolle einer Person im Hilfesystem? Lassen Sie das lieber die Profis machen.
Wenn Gewalt unmittelbar miterlebt wird:
Die Gewalt unterbrechen!
Sie können, wenn Sie in der Nähe sind klingeln/ klopfen und um etwas bitten (Zucker, Ladekabel,...), um den Akt zu unterbrechen.
Grundlegend sollten Sie nicht alleine eingreifen, um sich und das Kind nicht zu gefährden. Rufen Sie die Polizei (110) und holen Sie aktiv Hilfe.
Sprechen Sie andere ganz konkret an. Statt "kann mir jemand helfen?" besser: "Sie mit dem blauen Pullover, kommen Sie schnell mit und helfen mir".
Was passiert, wenn die Polizei kommt?
Die Polizei verhört die Anwesenden und wendet die Gefahr notfalls ab. Die Täter*innen werden bei häuslicher Gewalt verwiesen und dürfen sich in der Regel drei Tage lang nicht nähern. Dazu wird der Hausschlüssel abgenommen. Ggf. kann eine Verfügung ausgesprochen werden, dass die Täter*innen sich grundsätzlich nicht nähern dürfen.
Ggf. kann noch am Tatort eine ärztliche Untersuchung des Kindes angeordnet werden.
Frauen können mit ihren Kindern in einem Frauenhaus (für gewöhnlich bis zu 6 Monate) unterkommen, um in geschützter Umgebung weitere Schritte planen zu können.
Sind die Bezugspersonen/ alle Elternteile beteiligt, wird das Jugendamt informiert und das Kind/ die Kinder in Obhut genommen.
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Hilfen:
Jugendamt in Ihrem Landkreis
Familienberatungsstelle in Ihrem Landkreis
Kinderschutzverband
Opferschutzverein
Frauenhaus
Notrufnummern:
Kinder-& Jugendtelefon: 0800/ 111 0 333
Frauennotruf: 0800/ 116 016 (17 Sprachen, rund um die Uhr)
Elterntelefon: 0800/ 111 0 550
Anonyme Telefonseelsorge: 0800/ 111 0 111
Weiterführende Links:
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